Gebrider Moischele
"Schtil, die Nacht is ojsgeschternt"

Kolpinghaus Bezau
Fr 30. April 1999, 20.15 Uhr

 


moischele1.jpg (13123 Byte)

 

"Musik aus Gefühlen und Sehnsüchten einfacher Menschen"

Die Jiddischen Lieder der Gebrider Moischele

Nachdem viele Juden im Anschluß an die Verfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert aus Süddeutschland nach Polen und Rußland flüchten mußten, setzte die Blüte des jiddischen Volksliedes in Warschauer und Krakauer Gettos ein. Der Volkston dieser Lieder, ihre starken Gefühlsinhalte und die Unmittelbarkeit der Sprache verschaffen diesen Liedern eine universale Wirkung. Weithin bekannt sind die "Gebrider Moischele", die sich eben diesem Liedgut seit vierzehn Jahren widmen. Längere Zeit war es still um die Gebrider, jetzt geben sich wieder ein Konzert. Über die Erfahrungen der "Gebrider Moischele" mit jiddischen Liedern, Tradition und Besonderheiten erzählt Martin Deuring im Gespräch mit Silvia Thurner.

 

Kultur: Wie hat die Wirkungsgeschichte der "Gebrider Moischele" begonnen?

Vor vierzehn Jahren haben Hansjörg Schmid und Markus Fritsch durch Zufall jiddische Lieder gehört. Sie waren spontan begeistert von diesen Liedern und haben sie mit Gitarre und Geige nachgespielt. Peter Rapp hat die beiden in die Fernsehsendung "Die große Chance" eingeladen. Dieser Auftritt ist auf viel Resonanz gestoßen, es entstand die Idee, eine Cassette zu produzieren. Im Zug dieser Arbeit bin ich als Kontrabassist zu den Gebrider Moischele gestoßen.

"... ein reges Konzertleben ... "

Ganz am Anfang ist viel spontan entstanden, indem wir miteinander musiziert haben. Erst später haben wir angefangen, Melodien für unsere Besetzung zu arrangieren. Nachdem Hansjörg die Organisation übernommen hat, begann für uns ein sehr reges Konzertleben. Wir haben viel mit Kulturinstituten zusammen gearbeitet. Mitte der achtziger Jahre machten wir eine Tournee nach Polen, ein paar Jahre später reisten wir nach Israel. Öfters sind wir im Wiener "Metropol" und im "Treibhaus" in Innsbruck aufgetreten.

Kultur: Woher kommt der Name "Gebrider Moischele"?

Das ist eine lustige Geschichte. Es gibt ein Lied das heißt "Moischele mein Freind", Moischele ist der kleine Moses. Bei unserer Israeltournee haben die meisten Leute über unseren Ensemblenamen gelacht. Erst später wurden wir aufgeklärt, daß der Moischele in sämtlichen Witzen der Depp ist.

"... wir können nur von uns ausgehen ... "

Kultur: Wie habt ihr Zugang zur jiddischen Musik gefunden, habt ihr nach Liedern geforscht und euch um eine möglichst große Authentizität bemüht oder seid ihr nach eurem Gefühl vorgegangen?

Wir haben zuerst in die Musik hinein gefühlt. Im Laufe der Zeit haben wir uns immer mehr für die Lieder interessiert und Hintergründe erforscht. Wir haben jedoch nie für uns beansprucht, daß wir möglichst nahe an die originale Musik herankommen und authentisch spielen. Wir sind keine Juden und nicht in dieser Tradition aufgewachsen, deshalb können wir nur von uns ausgehen und das spielen, was die Lieder in uns bewirken. Das ist meiner Meinung nach der beste Zugang und wirkt auf der Bühne authentisch.

Am Anfang haben wir jiddische Lieder gespielt, die uns gefallen. Wir haben in unseren Konzerten nie politische Gedanken formuliert oder gezielt auf die Problematik hingewiesen, weil wir auf keinen Fall belehrend wirken wollten. Die Musik soll für sich selbst wirken, darin liegt auch eine politische Komponente. Wenn jemand Abneigungen gegenüber einer Sache hat, kann er über die Musik einen Zugang findet. Dieser Gedanke ist mir im Laufe der Zeit sehr wichtig geworden, weil wir diese Möglichkeit immer wieder anbieten. Man muß also nicht groß philosophieren in den Konzerten. Wenn etwas belehrend wirkt, schalten die Leute ab, denn niemand läßt sich gerne belehren, jeder Ratschlag ist ein Schlag.

"... aus Liedersammlungen und Schellacks ... "

Jiddische Texte selbst zu vertonen, davon haben wir bewußt die Finger gelassen. Es war nicht unsere Absicht. Unsere Veränderungen, die wir mit den zusätzlichen Stimmen und Arrangements machen, ist genug. Die ersten Lieder haben wir von verschiedensten Plattenaufnahmen transkribiert und arrangiert. In vielen Ländern, in denen wir herumgekommen sind, haben wir in Musikalienhandlungen nach jiddischen Liedersammlungen und Schellacks gesucht und sehr viel gefunden.

Kultur: Seit fünf Jahren spielt Markus Fritsch aus Zeitgründen nicht mehr bei den Gebrider Moischele mit. Inwiefern hat sich euer Musikstil mit dem neuen Geiger Rainer Hagman geändert?

Vor fünf Jahren standen wir vor einem Wendepunkt, wir haben uns überlegt, ob wir aufhören oder ein neues Projekt starten sollen. Das war keine einfache Entscheidung. Mit Rainer Hagman haben wir einen wunderbaren Geiger gefunden, der ausgezeichnet improvisieren kann. So hat sich unser Stil gewandelt, weil wir von den fixen Arrangements etwas abgerückt sind und einen Teil der Lieder auch improvisieren. Für mich persönlich ist das eine sehr schöne, lebendige Musizierweise.

" ... Zuversicht ist immer dabei ... "

Kultur: Was zeichnet die jiddischen Lieder besonders aus. Sind es die Melodien und die Rhythmik oder leben sie hauptsächlich aufgrund ihrer Texte? Wie sind die Liedtexte gestaltet, welche Themen werden angesprochen?

Es ist der Umgang mit der Realität, der in diesen Liedern musikalisch ausgedrückt wird. Mir ist kein Lied bekannt, das nur traurig wirkt, ebenso kenne ich keines, das eine ungetrübte Heiterkeit ausstrahlt - wie das Leben auch spielt. Besonders faszinierend sind die Lieder, die im Warschauer Getto geschrieben worden sind. Selbst in den trübseligen Texten, die von schwierigsten Umständen berichten, kommen immer wieder zuversichtliche Gedanken vor. Der Humor und die Ironie sowie die Fähigkeit über sich selbst lachen zu können, kommen in jiddischen Liedern sehr stark zum Ausdruck und machen sie so liebenswert.

Wie auch die Volksmusik aus unserem Kulturkreis sind die jiddischen Lieder einfach gestaltet. Es gibt keine rhythmischen Verschiebungen oder komplizierten Tonskalen, wie sie aus der osteuropäischen Tradition, den sephardischen Liedern, bekannt sind. Wie in unserer Volksmusik herrschen einfache rhythmische Muster vor. Jiddische Lieder leben von den Melodien, die auf mich sehr stark und kraftvoll wirken.

"... ein brisantes Schlaflied ... "

Es ist auch unsere Absicht, die Lieder gehörfällig und in einfachen Arrangements zu präsentieren, so daß der Text gut verstanden wird. Die jiddische Sprache entstammt ja der westlichen Tradition, darum verstehen wir sie relativ gut. Es ist quasi eine Mischung aus dem Mittelhochdeutschen und Hebräischen, versehen mit verschiedensten Dialekten.

Wir haben eine große Bandbreiten mit Liebesliedern, Schlafliedern und Widerstandslieder in unserem Repertoire. Das Titellied der neuesten CD "Schtil, di nacht is ojsgeschternt", klingt zwar wie ein Schlaflied, der Text ist jedoch brisant.

Kultur: Ihr habt in vielen Auftritten im In- und Ausland Erfahrungen sammeln können. Wie reagieren die Menschen auf eure Musik, habt ihr viele antisemitische Äußerungen gehört?

Ende der achtziger Jahre haben wir eine Tournee nach Israel gemacht. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als Mitteleuropäer vor älteren Leuten jiddische Lieder zu singen, die sie aus ihrer Kindheit kennen. Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, es war eine ganz eigene Stimmung. Die Menschen haben aber sehr positiv reagiert. Zweimal sind wir in Krakau in einer Synagoge aufgetreten, und haben dort höchstes Lob vom Oberrabbiner erhalten.

"... das fremdenfeindliche Potenial ... "

Wir haben nur wenig negative Erfahrungen gemacht. In Deutschland hat sich jemand aufgeregt und gemeint, daß es ohnehin genug Juden gäbe, deshalb brauche man nicht Jüdische Musik auch noch.

Einen massiven Unterschied im Vergleich zu Vorarlberg haben wir bei einem Auftritt in der Nähe von Langenlois in Niederösterreich erfahren. Das ist die Gegend des Schimanek-Junior, wo die feindliche Stimmung spürbar war. Wir haben bei diesem Konzert befürchtet, daß ein Störakt geplant ist. Die Rückmeldung, die der Veranstalter bekommen hat, lauteten: "Juden gibt es genug, da muß man nicht noch Werbung dafür machen." Es sind uns aber nur diese beiden Erlebnisse zu Ohren gekommen, das ist in vierzehn Jahren wenig. Ich glaube jedoch, daß es in Österreich ein relativ großes Juden- und fremdenfeindliches Potential gibt.

Danke für das Gespräch.

In: Zeitschrift Kultur, April 1999, S. 28/29.

CD

Gebrider Moischele: "Schtil, di nacht is ojsgeschternt" ... jiddische Lieder... Extraplatte EX 238-2, 1995.

moischele.jpg (16335 Byte)

programm kulturforum 1999