Tschiritsch´s Urwerk

Samstag, 27.11.1999, 20.15 Uhr
Ritter von Bergmann-Saal, Hittisau

"Tschiritsch's Urwerk" nennt sich das unkonventionelle Ensemble, bei dem international renommierte Musiker aus der ganzen Welt mitspielen. Hans Tschiritsch bringt zahlreiche Klangmaschinen und individuelle Musikinstrumente mit, die er selbst entworfen und gebaut hat. So entwickeln die Musiker der sechs- köpfigen Combo, auf einem lebend- igen Rhythmus aufbauend, mit einem außergewöhnlichen Sound und Obertongesang unerhörte Klangwelten. Bekannt und berühmt geworden ist Hans Tschiritsch, der im Wiener Burgtheater als "Geräuschmeister" und Musiker Theateraufführungen bereichert, mit seiner Nähmaschinen- obertondrehleier, der Grammophon- geige, der singenden Säge, Steel-pan und Eisenrädern. Zahlreiche Perkussionsinstrumente sowie Trompete, Posaune und Tuba ergänzen die kraftvolle und amüsante Musik.


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betr.: Phono-Inventionen

Die Musikinstrumente von Hans Christian Tschiritsch sind in zweifacher Weise von besonderem Interesse: Es sind vielfach Metamorphosen von Gebrauchsgegenständen des Alltags zu tönenden Kunstgegenständen, deren klangliches Prinzip es im wesentlichen schon gibt und zugleich, so wie sie Tschiritsch schafft, noch nicht gibt. Grundsätzlich erkennen wir in Tschiritsch’s Werk zwei Bereiche, die den Künstler am Musikinstrument und zwar speziell an dessen klanglichem Aspekt reizen: Zum einen ist es das Phänomen der Obertöne und zum anderen die Verfremdung von Klängen.

Physikalisch-akustisch betrachtet besteht ein Ton aus dem kompIexen Zusammenwirken von einzelnen Schwingungen, die in ihrer jeweiligen bestimmten Art das Charakteristikum des Klanges ausmachen. Bei einer Vielzahl uns geläufiger Musikinstrumente – einschließlich der menschlichen Stimme – setzt sich der Ton aus einem harmonischen Spektrum an Teiltönen zusammen, die aus dem Grundton und seinen ganzzahligen Vielfachen, den Teiltönen, besteht Obertöne kann man durch verschiedenste musikalische Techniken sowohl vokal als auch instrumental in ihrem Klang beeinflussen bzw. hervorheben. Diese sehr alten und auf der ganzen Welt in verschiedensten Varianten bekannten Musizierweisen kann man unter dem allgemeinen Begriff .Obertonmusizieren zusammenfassen. Dazu gehören z. L das Spiel auf der Maultrommel, das Blasen des australischen Dijeridoos oder das Musizieren auf dem afrikanischen Mundbogen. Der Obertongesang, wie ihn archaische Kulturen z. B. in Sibirien kennen, fasziniert Tschiritsch und er beherrscht dessen Technik. Viele Elemente dieser Musizierweisen finden Eingang in Tschiritsch’s musikalische Welt

In der modernen Industriegesellschaft aufgewachsen, verbindet der Künstler deren vielfältige akustische Umweltreize mit den oben erwähnten archaischen Techniken, wobei musikalische Synthesen von Instrumenten und der darauf gespielten Musik nicht aus willkürlichen Zufälligkeiten entstehen. Sie sind von einem wachen, aufmerksamen Durchwandern des Alltags mit seinen umfangreichen Ressourcen – insbesondere einer Wegwerfgesellschaft – geprägt und vermischt mit einer unglaublichen handwerklichen und musikalischen Kreativität

Der nach außen hin durch stoische Ruhe auffallende Tschiritsch ist innerlich beseelt von einem unbändigen Willen nach Veränderung, nach Dynamik in allen musikalischen Prozessen, wobei die Ergründung der inneren Gesetzmäßigkeiten von Musik ihn zur Entwicklung von ganz spezifischen Instrumenten treibt.

Entscheidender Motor für das Wirken Hans Christian Tschiritsch’s ist seine Liebe einerseits zur "Straßenmusik" und anderseits zum "Theaterleben und der damit verbundenen Musik". Das Faszinieren des Publikums durch ausgefallene und nicht alltägliche Instrumente wie Singende Säge, die Grammophongeige aber auch die Anfertigung von Marionettenpuppen und das Spiel damit sind für beide Bereiche – sowohl die Straße als auch die Bühne – wesentlich und (über)lebensnotwendig. Der Nutzen des Instruments ergibt sich aus der "Theaterfähigkeit". Es entstehen Instrumente quasi "aus der Not" heraus, denn Tschiritsch lebte und lebt, was die Straßenmusik anbelangt, ein pekuniär reduziertes Leben – und Not macht erfinderisch. Die musikalische Wirkung ist dabei nicht unbedingt an den Geldwert des Musikinstrumentes gebunden.

Als "Geräuschmeister" an Theatern ist seine Kreativität bei jeder Produktion gefordert, wobei der Bezug zu den Alltagsgegenständen nie zu übersehen ist: Der Staubsauger wird zum überdimensionierten Saxophon, eine Nähmaschine zum saitenbespannten Drehtophon oder Phonochord (Nähmaschinenobertondrehleier), Metallspangen fügen sich zu mit Gummi bespannten, in der Geschwindigkeit regelbaren, surrenden Ventilatoren. Weiters finden sich Kinderbadewannen aus Großmutters Zeiten, Rohre in allen Materialien sowie Durchmessern und Längen, Teile von Motoren und Werkzeugen und viele andere .Rohmaterialien unter merkwürdigen Bezeichnungen als Musikinstrumente in Tschiritsch’s Wohnung und Werkstätte wieder. Eine eventuell abschätzige Bezeichnung als "Recycling"-Instrumente würde nur sehr oberflächlich und unzureichend das Wesen seiner Kunstgegenstände treffen.

Ein besonders ausgeklügeltes, methodisches Pädagogikkonzept verfolgt Tschiritsch mit seiner Arbeit nicht: Als Schulaussteiger ist er ein Gegner eines vorbereiteten, auf ein "normiertes" Publikum anzuwendendes Rezept, und von pauschalen Vorweg-Erklärungen und Deutungen der einzelnen Instrumente sieht er ab. Der Betrachter und Hörer soll und muß sich aus eigenem Interesse Instrument und Musik von Tschiritsch nähern, den Raum seines Schaffens selbst begehen und durchschreiten. Dann kann er erkennen, daß Altes wohl vorhanden aber neu und originell komponiert (= zusammengesetzt) ist, daß zuerst das Ding, der Gegenstand an sich, und dann die Musik da ist, daß Hörgewohnheiten nichts Unabänderliches sein müssen.

Im Spiegel seiner musikalischen Kunstgegenstände sehen wir Tschiritsch als einen suchenden und grübelnden, auch (er)findenden, einen im tiefen Sinne sprühenden und musikalisch glühenden integrativen Menschen vor uns, der das Skurrile nicht als eine dem Zeitgeist entsprechende Marketingmasche seiner Person vor sich herschiebt, sondern mit verborgenem Witz und Ironie das Leben unserer Zeit zu bereichern versteht

Rudolf Pietsch

 

betr.: Hans Christian Tschiritsch

Hans Tschiritsch, geboren 1954 in Wien. Aufenthalte in der Karibik und in Sibirien. Theatermusiker. Spender origineller Klänge. Fragt man ihn, wo er musikalisch daheim ist – eine stets bedenkliche Spurensuche – nennt er einmal Flamenco, einmal Blues, und vielleicht auch, allumfassend "Straßenmusik". Hört man seine Musik, sieht man seine Instrumente, dann drängen sich tausend Stile auf, dann rasselt die Assoziationskette: Orientalisch – sibirisch – jodel – latin – karibik – jazz – avantgarde – ostinato...

Haken wir da einmal ein: Tschiritsch’s Instrumente scheinen in all ihrer verwirrenden, herrlichen Vielfalt doch etwas gemeinsam zu haben: Man kann auf ihnen lange Noten, Grundtöne spielen, über denen sich dann improvisieren läßt. Bordunmusik? Auch, freilich im weitesten Sinne. Tschiritsch’s Melodien, seien sie nun ausgeborgt oder selbstverfaßt, klingen über eine Grundierung. Die besteht nun aus eben jenem Grundton und einem Rhythmusmuster, das sich gleichermaßen komplex wie ebenmäßig anhört Dadurch scheint die Musik zu stehen; trotz der musikalischen Entwicklung, etwa während eines Improvisations-Solos, hat man weniger das Gefühl einer horizontalen Bewegung als vielmehr eines vertikal pulsierenden Klanggebäudes. Wenn ein Stück beginnt, war sein Rhythmus scheinbar schon immer da. Die Töne werden darüber geschichtet, aufgefächert, erhalten neue Betonungen. Überhaupt die Takte! 5er, 7er, 9er, 13er – Tschiritsch schätzt das Ungerade. Vielfalt und Orientierungslosigkeit Neue Wege – und Sackgassen. Im 20. Jahrhundert hat die Musikgeschichte eine Beschleunigung erfahren, die alle Regeln und Traditionen über den Haufen warf. Alles ist möglich – das betrifft auch die Klangwerkzeuge, mit denen Musiker ihren Weg, suchen. Die wichtigsten Komponisten unseres Jahrhunderts haben diese Situation der scheinbaren Regelfreiheit in ihren Kunstbegriff aufgenommen. Etwa Arnold Schönberg: "Kunst (d.h. auch Musik) ist auf der untersten Stufe einfache Naturnachahmung. Aber bald ist sie Naturnachahmung im erweiterten Sinne des Begriffs, also nicht bloß Naturnachahmung der äußeren, sondern auch der inneren Natur. Mit anderen Worten: Sie stelle dann nicht bloß Gegenstände oder Anlässe dar, die Eindruck machen, sondern vor allem diese Eindrücke selbst Auf ihrer höchsten Stufe befaßt sich die Kunst ausschließlich mit der Wiedergabe der inneren Natur." Oder Bela Bartok: .Die neueste Periode der Musikentwicklung hat ja kaum begonnen. Und der deutsche Musiktheoretiker Heinrich Hüschen schrieb im Jahr 1961, im 20-bändigen Lexikon "Musik in Geschichte und Gegenwart", unter dem Stichwort: "Musik": .Von dem in der Natur vorkommenden Tonmaterial gelangt in der Musik nur ein verhältnismäßig geringer Teil zur Verwendung. Erweiternd und diese Ausstellung betrachtend, könnten wir sagen: Von dem in der Natur zur Verfügung stehenden Baumaterial gelangt im Instrumentenbau nur ein verhältnismäßig geringer Teil zur Verwendung. Hans Tschiritsch dürfte da einen besonderen Blick haben: Er sieht hinter jedem Ding dessen Klangkapazitäten. Die Badewanne als Resonator, das Ofenrohr als Blasinstrument, das Cognac-Glas als Verstärker. Apropos Verstärker: Natürlich spielt Tschiritsch "unplugged". Keyboards kommen ihm nicht - mehr – in die Band. Das einzige Instrument, das eine Steckdose braucht, ist der Staubsauger. Tschiritsch – ein Recycle-Musiker? Jedenfalls einer, der nicht versucht, schon vorhandene Instrumente weiterzuentwickeln, gar zu vollenden. Als Beispiel für dieses Streben mag Johann G. Staufer Erwähnung finden, der mit dem Arpeggione eine seltsame Symbiose von Gitarre bzw. Laute und CeIIo bzw. Gambe zu erreichen versuchte. Außer Schubert hat sich niemand darum gekümmert, und selbst seine Arpeggione-Sonate spielt man heute eher auf dem Cello Tschiritsch ist vermutlich recht zufrieden mit Cello, Gitarre oder auch Klavier. Seine Ideen aber gehen nicht einfach Ober diese erfolgreichen Instrumente hinaus: Er läßt sie, wo sie sind, und setzt mit seinen Prototypen ganz anderswo an. Wo ist dieses anderswo wohl? Vielleicht dort, wo die 8.Viertel im 7/4 Takt fehlt Hans Tschiritsch stellt seine Klangwerkzeuge selbst her, komponiert für sie und spielt sie auch selbst; er ist Instrumentenbauer, Komponist und Interpret in einer Person. Das ist einzigartig – nicht nur in unserem Jahrhundert des Spezialistentums. Oder können Sie sich einen Schifahrer vorstellen, der seine Brettln selbst tischlert und sich den Kurs steckt ?

Albert Hosp

programm kulturforum 1999