literatur Das Nibelungenlied
Heldentaten und Liebesleid

Freitag, 10. Dezember 1999, 20.15 Uhr
Bildungshaus Bezau

Dr. Eberhard Kummer lebt und arbeitet eigentlich als Jurist in Wien. Die große Liebe des gelernten und ausübenden Opern- und Konzertsängers aber ist die Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei das "Nibelungenlied" ein. Dieses um 1200 bei Passau anonym verfasste Heldenepos wurde aber zu seiner Entstehungszeit nicht deklamiert, sondern gesungen. Deshalb singt und gestaltet Kummer den mittelhochdeutschen, zur besseren Verständlichkeit mit kleinen sprachlichen Änderungen versehenen Originaltext des Nibelungenliedes unter Verwendung des sogenannten Hildebrandstons. In originalgetreuer Konzertkleidung - bevorzugt tritt der "fahrende Sänger aus Wien" im Bettlerkostüm, mit defekten Stulpenstiefeln und grüner Mütze mit roter Feder auf - wird Eberhard Kummer in Bezau im zuckenden Fackellicht fünf Auszüge aus der "Nibelungen Not" darbieten und berühmte Szenen wie Kriemhilds Falkentraum, Gunthers Brautnacht, Hagens heimtückischen Mord am Helden Siegfried oder Kriemhilds grauenvoll blutige Rache an den Burgundern lebendig machen. Im Stile der historischen Balladen- und Epensänger begleitet sich der Vortragende dabei selbst auf seinen dafür eigens gebauten Instrumenten: einer Schoßharfe und einer Drehleier.


Pressestimmen zum Vortrag Eberhard Kummers

"Fesselndes Lied von der "Nibelungen Not". [...] Da saß der Barde [Anm.: in Soest] und sang d a s deutsche Epos überhaupt. Und das klang so fremd und fern, so unbekannt und unwirklich, daß sich die Zuhörer in eine andere Zeit versetzt fühlten. In eine Zeit, da Mitte und Mannestugend zählten, Gefahr und Grausamkeit zum Alltag gehörten, in eine Zeit, da Eile und Hetze unbekannt waren und fahrende Sänger von Heldentaten und Neuigkeiten draußen in der Welt erzählten...." (Westfalenpost)

"Spannend und meditativ zugleich". Eberhard Kummer rezitiert das "Nibelungenlied" im Wiener Konzerthaus. Fremdartige Töne erklingen im Wiener Konzerthaus: Der Balladensänger Eberhard Kummer singt - sich selbst auf einer Schoßharfe begleitend - an fünf aufeinanderfolgenden Nachmittagen im Alban-Berg-Saal sämtliche 2379 Strophen des "Nibelungenliedes". [...] Wer glaubt, daß diese Art von Vortrag fad sei, irrt: Der Text des "Nibelungenliedes" ist so plastisch, daß die Erzählung wie ein innerer Film abläuft, bei dem die eigene Phantasie Regisseur spielt. [...] Es bildet sich rasch ein ungewohnter Zustand heraus: Man gerät in einen angenehmen, quasi-meditativen Zustand und kann kaum noch aufhören, zuzuhören." (Salzburger Nachrichten)

"Eberhard Kummer mit Musik des Mittelalters".[...] So verstaubt diese musikalischen Vorgaben zunächst wirkten, so lebendig und fesselnd erwies sich dann die Gestaltung der fünf Textabschnitte.[...] In überzeugender Weise fand Kummer mit seinem weichen und flexiblen Bariton eine musikalisch zeitgenössische Entsprechung: Hier setzten sinnende Melismen Ruhepunkte, dort hämmerten markige Tonrepetitionen die grimmigen Worte eines Hagen; an anderer Stelle nahm der Sänger durch geschmeidige Melodiebögen am Schicksal seiner Personen teil, dann vernahm man wieder nur einen distanzierten Sprechgesang. Diese farbige Stimmführung wurde besonders an dramatischen Stellen durch das "Schnarren" der Drehleier ausdrucksstark ergänzt." (Kölner Stadtanzeiger)

Über das "Nibelungenlied"

Das "Nibelungenlied" ist ein mittelhochdeutsches, ursprünglich für den Gesangsvortrag bestimmtes Heldenepos in Strophen ("Sangversepos"). Neben den meist auf französische Vorlagen zurückgehenden höfischen Epen eines Hartmann von Aue oder des Wolfram von Eschenbach, entstehen in staufischer Zeit auch Epen, deren stoffliche Grundlage alte Heldenlieder der Völkerwanderungszeit bilden.

Diese Lieder waren jahrhundertelang mündlich überliefert, von Spielleuten verbreitet und vielfach umgeformt worden. Um 1200 verbindet ein Dichter die Lieder von Siegfried und vom Burgundenuntergang zum Nibelungenepos. Der Dichter, er stammt aus dem bayrisch - österreichischen Donauraum, bleibt - wie für dieses literarische Genre üblich - anonym. Das "Nibelungenlied" ist wahrscheinlich am Hofe des Passauer Bischofs Wolfger zwischen 1198 und 1203 entstanden. Obwohl es den Glanz und die Verhaltensweisen der hochmittelalterlichen Welt widerspiegelt, wird in ihm die heroisch - tragische heidnische Lebensform lebendig, in der die Gesetze der Gefolgschafts- und Sippentreue sowie der Rache herrschen. So steht neben den höfischen Epen, die um die Frage nach dem rechten ritterlichen Verhalten, um Minne und Gottelshuld kreisen, das düster tragische "Nibelungenlied", in dem die Helden mit erbarmungsloser Notwendigkeit in einer gottfernen Welt zugrundegehen.

programm kulturforum 1999